Oris hat seinen Hauptsitz in Hölstein am nördlichen Rand des Schweizer Jura und liegt am äußersten Rand der traditionellen Schweizer Uhrenregion. Diese Region hat sich seit langem auf erschwingliche Stiftankeruhren spezialisiert. Und obwohl sich die Marke neu erfinden musste, hat dieses Erbe natürlich die Philosophie von Oris geprägt: „Geh deinen eigenen Weg“. Mit der Einführung der überarbeiteten Aquis Date-Kollektion und der neuen Oris Divers hatten wir die perfekte Gelegenheit, uns mit Rolf Studer, dem Co-CEO der Marke, zusammenzusetzen und herauszufinden, was Oris auszeichnet.
Xavier Markl, MONOCHROME – Rolf, danke, dass wir hier sein dürfen! Was ist Ihr Hintergrund und wie sind Sie Co-CEO von Oris geworden?
Rolf Studer, Co-CEO von Oris – Ich habe Uhren und gut gemachte Objekte schon immer geliebt. Mein Großvater hatte eine Werft, in der er Holzboote baute, also wuchs ich umgeben vom Geruch von Lack und Mahagoni auf, mit Werkzeugen überall. Ich habe Dinge, die für die Ewigkeit gemacht sind, immer geschätzt, und so bin ich wahrscheinlich in die Uhrenindustrie gekommen. Ich habe Jura studiert und einige Jahre bei Coca-Cola gearbeitet. 2006 hatte ich das Glück, zu Oris zu kommen, einem unabhängigen Unternehmen, bei dem jeder Einzelne die Chance hat, wirklich etwas zu bewirken. Ich begann als Regionalmanager und arbeitete mich hoch.
Dieses Jahr feiert Oris sein 120-jähriges Jubiläum. Die Marke hat eine so reiche Geschichte. Wofür steht Oris heute?
Oris hat schon immer hochwertige Uhren hergestellt, die für die Menschen erschwinglich sind. Vor der Quarzkrise lag unser Fokus auf der Herstellung einfacher, zuverlässiger Uhren zum Ablesen der Zeit. Aber als billigere Quarzuhren die Branche durcheinanderbrachten, mussten wir uns neu erfinden und dabei unserer DNA treu bleiben. Auch jetzt konzentrieren wir uns darauf, erschwinglichen Luxus anzubieten – Uhren, die jeder genießen kann. Wir glauben daran, die Freude an Uhren zu teilen, anstatt Exklusivität zu fördern. Luxus sollte nicht sagen: „Ich bin hier und du wirst es nie sein.“ Stattdessen sollte er Menschen zusammenbringen, was der Kern der Oris-Philosophie ist.
Wie prägt die Unabhängigkeit von Oris?
Unabhängigkeit hat den Großteil der Geschichte von Oris geprägt. Sie ist ein zentraler Bestandteil unserer Identität. Unabhängig zu sein gibt uns die Freiheit, unseren eigenen Weg zu gehen. Unser Motto „Geh deinen eigenen Weg“ spiegelt diesen Geist wider. Wir sehen uns als „Citoyens“ (Bürger). Diese Philosophie bestimmt, wie wir mit Menschen umgehen – sie ist kooperativ, nicht hierarchisch. Bei Watches and Wonders zum Beispiel haben viele Marken Stände, die Palästen ähneln, aber wir schaffen eine Piazza – einen offenen Platz, der Austausch und Gleichheit symbolisiert. Diese Offenheit ist, wer wir sind.
Können Sie uns etwas über das Management-Buyout in den 1980er Jahren erzählen?
Ja, es wurde von Dr. Rolf Portmann und Ulrich W. Herzog geleitet. Dr. Portmann, unser Ehrenvorsitzender, kam 1956 zu Oris, und sein Vater, der in den 1920er Jahren anfing, war einst unser Vertriebsleiter. Ulrich Herzog kam 1978 ins Unternehmen und ist heute unser Vorsitzender. Oris wird nicht nur gemanagt, sondern gehört uns. Hier herrscht ein ausgeprägtes Gefühl der Kontinuität. Die Leute bleiben entweder nur für kurze Zeit bei uns oder viele Jahre – wie ich auch. Wir legen Wert auf Unternehmergeist und Leidenschaft. Wir wollen nicht, dass die Leute nur ihre Meinung äußern, sondern eine Haltung verkörpern. So sind wir in der Lage, mit viel größeren Unternehmen zu konkurrieren.
Wie würden Sie Oris-Uhren heute beschreiben?
Wir nehmen die Uhrmacherei ernst, aber nicht uns selbst. Es geht um das Produkt. Jede Uhr, die wir herstellen, muss zwei Dinge erreichen: Sie soll Sie zum Lächeln bringen und Sinn ergeben. Unsere Uhren bieten praktischen Wert, Funktionen oder Komplikationen – wie einen Tiefenmesser oder einen Höhenmesser – aber Sie werden kein Tourbillon finden. Wir streben nach Funktionalität mit Zweck, und diese Philosophie bestimmt unsere Designs.
Was sind heute die ikonischen Oris-Modelle?
Da ist zunächst die Aquis, die wir kürzlich aufgefrischt haben. Wir haben ihren Geist bewahrt, aber subtile Verbesserungen vorgenommen, um sie zu verbessern. Wie Tancredi sagte: „Alles muss sich ändern, damit alles gleich bleiben kann.“ Die Aquis ist ein vielseitiges Stück – Sie können sie bei einem Outdoor-Wochenende oder einem Geschäftstreffen tragen.
Dann gibt es die Divers Sixty-Five, inspiriert von unseren ersten Taucheruhren aus dem Jahr 1965. Sie hat sich zu einem Klassiker entwickelt. Wir haben durchdachte Aktualisierungen vorgenommen: Die Wasserdichtigkeit wurde von 100 m auf 200 m erhöht, ein Keramik-Oberring ersetzt den Aluminiumring und die Gehäuseproportionen wurden verfeinert. Solche Details sind wichtig, denn unsere Kunden sind Uhrenliebhaber – sie kennen Qualität und erwarten Wert.
Und schließlich bleibt die Big Crown-Kollektion mit Wurzeln in den 1930er Jahren ein Markenzeichen. Sie verfügt über unsere charakteristische Zeigerdatumskomplikation. Eines meiner Lieblingsstücke ist die Big Crown Calibre 473, eine handaufgezogene Zeigerdatumsuhr mit 5 Tagen Gangreserve. Sie hat sogar eine Gangreserveanzeige auf der Gehäuserückseite und wird mit einer 10-jährigen Garantie geliefert. Sie ist ein perfektes Beispiel für unser Ziel – unser Erbe zu ehren und gleichzeitig moderne Handwerkskunst zu integrieren. Und sie hat ein babyblaues Zifferblatt, das mich jedes Mal zum Lächeln bringt, wenn ich sie sehe. Ich hoffe, andere empfinden das auch.
Oris Big Crown Calibre 473
Oris hat in den letzten Jahren eigene Kaliber entwickelt. Können Sie uns mehr darüber erzählen?
Natürlich. 2014 haben wir zum 110-jährigen Jubiläum das Kaliber 110 vorgestellt. Es ist ein Handaufzugswerk mit nichtlinearer 10-Tage-Gangreserve und Gangreserveanzeige. Darauf folgten das Kaliber 112 mit Mondphase und das Kaliber 113 mit Zeigerwochenfunktion.
2020 haben wir dann unser Automatikwerk auf den Markt gebracht, aber wir wollten nicht einfach nur ein weiteres Standard-Automatikkaliber einführen. Wir strebten etwas Besonderes an: 5 Tage Gangreserve, 10-Jahres-Wartungsintervalle und antimagnetische Eigenschaften. Das wurde sehr gut angenommen. Wir haben das Sortiment um Versionen wie das Kaliber 401 (kleine Sekunde) und das Kaliber 403 (Zeigerdatum und kleine Sekunde) erweitert. Das Kaliber 473, das ich bereits erwähnt habe, fügt Handaufzug mit Gangreserveanzeige auf der Gehäuserückseite hinzu.
Und dann gibt es noch das Kaliber 733 (Anmerkung der Redaktion: der Oris-Name für die Sellita SW200-1) und das Kaliber 751 sowie Oris-eigene Komplikationen wie das Zeigerdatum-Kaliber 754. Dies sind die Säulen unseres Uhrwerkportfolios.
Wie verwaltet Oris seinen Vertrieb?
Wir haben weltweit rund 2.000 Verkaufsstellen, dazu 30 Boutiquen und einen E-Shop. Wir wollen überall dort präsent sein, wo unsere Kunden sind. E-Commerce und Boutiquen wachsen, aber Multi-Brand-Stores bleiben unverzichtbar. Als Uhrenliebhaber besuche ich gerne Geschäfte, in denen ich Marken vergleichen und neutral beraten kann. Dort kann man Uhren vergleichen und sich mit anderen vergleichen. Wir haben auch 20 Tochtergesellschaften, die verschiedene Regionen abdecken, und pflegen langfristige Beziehungen zu wichtigen Distributoren. Für uns ist es entscheidend, eine ausgewogene globale Präsenz zu haben – so können wir Risiken managen und langfristige Entscheidungen treffen.
Ein letztes Wort zum Marketing?
Unser Ruf ist dank der Uhren-Community organisch gewachsen. Die sozialen Medien haben Enthusiasten eine Plattform gegeben, auf der sie ihre Leidenschaft teilen können, und wir haben von ihrer Unterstützung auf eine Weise profitiert, die wir allein nicht hätten erreichen können. Wir fühlen uns als Teil dieser „Uhren“-Community, und ihr Vertrauen bedeutet uns viel.
Auch Nachhaltigkeit ist uns wichtig. Als unabhängige Marke übernehmen wir Verantwortung über die Mauern von Oris hinaus. Wir veröffentlichen Nachhaltigkeitsberichte, reduzieren Emissionen und streben nach greifbaren Ergebnissen. Ein Projekt, auf das ich stolz bin, ist unsere Zusammenarbeit mit Yusra Mardini, deren Geschichte in The Swimmers erzählt wird. Viele Marken schrecken vielleicht vor einer Geschichte über einen Flüchtling zurück, aber genau diese Art von Erzählung kommt bei Oris an.
Wir sind jedoch nicht hier, um zu predigen. Wir möchten die Menschen dazu inspirieren, wohlüberlegte Entscheidungen zu treffen. Auch unsere Partnerschaften spiegeln diesen Geist wider. Von Cricket bis zum französischen Fußball (LFP) engagieren wir uns in Gemeinschaften und fördern Teamarbeit. Bei Oris geht es darum, Dinge gemeinsam zu tun und Teil von etwas Größerem zu sein.